Bemerkungen zu der Bodenarbeit von Martin Steiner von Nathalie Dimic
Etwas versteckt im Maria-Lenssen-Park zeugt ein Pavillon von vergangenen Zeiten. Die Parkanlage befindet sich hinter dem imposanten Gebäude des Berufskollegs, dessen Namensgeberin, Maria Lenssen, 1870 eine Fortbildungsschule für Handarbeit in Rheydt gründete und damit den Grundstein für die spätere Schule gelegt hat. Rechts vom Hauptportal führt ein Durchgang in den Park, dessen Arrangement von Rasenflächen, Gehölzen und Architekturelementen zum Lustwandeln und Verweilen einlädt. Gesäumt von rund zweihundert Jahre alten Bäumen, leicht verborgen hinter ihrem gewaltigen Ast- und Blattwerk, befindet sich der neoklassizistische Pavillon. Der um 1840 errichtete Bau greift die Formensprache antiker Tempel auf: leicht erhöht und dem Gestaltungsprinzip der Symmetrie verpflichtet, strukturieren sechs Pilaster mit antikisierenden Kapitellen die Frontfassade. Die Pilaster flankieren drei Rundbogenfenster, wobei das Fenster in der Mittelachse bis zum Boden reicht und Eintritt in den Pavillon gewährt. Oberhalb des Gebälks schließt das Gebäude mit einem flachen Dreiecksgiebel.
Die aufmerksame Spaziergängerin und der wachsame Spaziergänger finden während der dritten Schauzeit in dem Pavillon aber nicht allein einen Zeugen vergangener Tage wieder. Der Künstler Martin Steiner hat den Raum künstlerisch markiert. Über den gesamten Boden des Pavillons verteilt, erzeugen große Quadrate in Neongelb eine Struktur, die durch ihre formale Prägnanz und intensive Farbigkeit in den Raum eingreift und ihn besetzt. Architektonische Achsen werden unterlaufen oder betont, der gewohnte Blick wird gestört. Wo ist das Zentrum? In dem eher dunklen Raum treten die sich teils überlappenden Quadrate deutlich hervor und scheinen auf dem roten Kästchenmuster der Fliesen zu schweben.
Die Bodenarbeit „Gelb auf Rot“ erscheint im ersten Moment als einfaches und schnell durchschaubares Arrangement leuchtender Farbflächen, basierend auf der geometrischen Grundform des Quadrats: Mit vier gleichlangen Seiten und vier Symmetrieachsen vermitteln die streng quadratischen Module Ausgewogenheit und Klarheit. Doch aneinandergelegt und ineinander verschoben schaffen die Quadrate eine Struktur, die sich nicht vollständig erfassen lässt. Mal sind stern- oder kreisförmige Anordnungen zu erkennen, mal scheinen die Quadrate zu tanzen und sich einer größeren formalen Einordnung zu entziehen. Mit der Leichtigkeit herabgefallener Blätter, bedecken die sie den Boden und bilden einen Kontrast zu der repräsentativen Funktion des Gebäudes. Das schützende Blätterdach des Außenraums wird von dem Künstler in abstrahierter Form auf den Boden projiziert und verbindet Architektur und Natur.
Die Reduktion und das Spiel mit der Wahrnehmung sind zwei entscheidende Momente in den Arbeiten von Martin Steiner. Seine oftmals simplen Eingriffe in die vorgefundene Architektur eröffnen eine Vielfalt von Wahrnehmungsoptionen. Der Künstler greift hierfür
Formen aus dem Innen-, Außen- und Umraum auf, verfremdet oder vereinfacht diese, um sie zu einem spannungsvollen Wechselspiel neu zusammenzuführen. Das farbige Quadrat greift einerseits die quadratischen Bodenplatten des Pavillons und die Leichtigkeit der Blätterdachs auf, verweist aber zugleich auf das Nachbargebäude, das den Park südwestlich begrenzt. Das Anfang der 1930er-Jahre erbaute Schülerinnenwohnheim erscheint noch heute als ein Prototyp des Neuen Bauens. Die klare Formensprache jener der Sachlichkeit verpflichteten Stilrichtung veranschaulichen kubische Baukörper, glatter Außenputz und Flachdächer. Im Inneren kontrastieren helle Wandflächen mit farblich abgesetzten Bodenflächen und Treppen. Das Spiel mit geometrischen Formen, kontrastierenden Farbflächen sowie Abstraktion und Reduktion steht in unmittelbarer Beziehung mit den gestalterischen Strömungen der Neuen Sachlichkeit und De Stijl, deren Grundprinzipien nicht nur in der Kunst, sondern auch in der Architektur zum Einsatz kamen. Martin Steiners Arbeit sensibilisiert so für das Neben- und Miteinander verschiedener Stile, lässt die geometrische Strenge De Stijls spielerisch auf die neoklassizistische Formensprache des Pavillons treffen.